Voltigierfreizeit im VLIPS: Elf Kinder, vier Pferde und vier Betreuerinnen
Unsere ehemalige Praktikantin Vanessa hat Urlaub und wir freuen uns über ihren Besuch und ihre Hilfe. ...
Auf dem Pferd liegt der 18jährige Alex. Er kann nicht sitzen, daher liegt er auf Isabell. Er kann sich auch nicht selbst halten, daher halte ich ihn und das Pferd wird von Tamara geführt...
Heute wird Isabell von Lara geführt. Alex liegt wieder auf dem Pferd und ich arbeite mit Alex, in dem ich ihn stabilisiere, wenn es nötig ist und in dem ich mit „begegnen und schmelzen"...
Voltigierfreizeit im VLIPS: Elf Kinder, vier Pferde und vier Betreuerinnen.
Unsere ehemalige Praktikantin Vanessa hat Urlaub und wir freuen uns über ihren Besuch und ihre Hilfe. Julia und Lisa sind unsere derzeitigen Praktikantinnen, mit allen dreien habe ich tolle und engagierte Helferinnen für die Voltigierfreizeit in den Osterferien.
Mit Espadon und Isabell sind wir in der Halle, wir spielen und turnen neben den Pferden und auf den Pferden.
Wir spielen Katz und Maus: gefangene Mäuse werden zu Katzen, es bilden sich neue Teams, wir gehören zusammen! Dabei gibt es eine wilde Jagd um die entspannten Pferde, die Kinder müssen sich im Raum orientieren, auf die Pferde achten und nebenbei ist das Mäusedasein auch nicht ungefährlich…
Dann wird die Reihenfolge geklärt, dabei müssen die Kinder Paare bilden für die Doppelübungen auf dem Pferderücken.
Ein Kind äußert, dass es nicht mit Amelie zusammen turnen möchte. Amelie ist Autistin und ihr Benehmen ist für die anderen Kinder fremd. Ich nicke verständnisvoll und sage: „Du hast ein bisschen Angst vor ihr, stimmt´s?“ „Ja“, sie nickt erleichtert und ihr fällt ein Stein vom Herzen, als sie sich verstanden fühlt. Dann erkläre ich den Kindern, dass Amelie sie alle toll findet, aber das nicht so zeigen kann.
Amelie läuft lachend zu einem Mädchen und sagt in ihrer besonderen Art und Weise: „Eins … zwei … drei …?“. Daraufhin ermuntere ich das Mädchen wegzulaufen und erkläre, dass Amelie mit ihr noch einmal nachlaufen spielen möchte. Sie zögert zuerst und läuft dann weg. Als Amelie ihr laut lachend ein paar Schritte hinterher läuft, lächeln auch die anderen Kinder und wollen nach und nach alle Amelie motivieren auch ihnen hinterher zu laufen. Damit ist der Bann gebrochen.
Nachdem alle anderen Kinder voltigiert haben und Amelie immer noch nicht auf das Pferd möchte, laufen alle Kinder zu ihr und wetteifern in dem Bemühen, Amelie zum Pferd zu bringen. Diese hockt sich in die Ecke auf den Stuhl und ist sichtlich bewegt. Sie ist in ihrer Gefangenheit und gleichzeitig doch so offen, dass sie die Kinder in ihrer Zugewandtheit realisiert.
Vanessa, Julia, Lisa und ich sind berührt; wir halten inne und beobachten die Situation. Es ist wunderschön.
Amelie steht auf und ist noch unsicher. Ich gehe zu ihr, bestärke sie mit Freundlichkeit und Klarheit. Ich darf sie in den Arm nehmen und auf das Pony heben.
Während die anderen Kinder zum Abschluss der Volti-Stunde in der Halle noch einmal „Fischer, Fischer wie tief ist das Wasser?“ spielen, reitet Amelie auf Isabell und ich singe neben ihr mit. So ist sie verbunden mit dem Spiel der anderen.
Später im Hof entsteht ein Pfützenspiel: Amelie tritt in die Pfütze und ich erschrecke mich vor den Spritzern. Amelie schüttelt sich vor Lachen und ihr Lachen ist ansteckend! Auch die anderen Kinder lachen und wir spielen gemeinsam: Wir springen und spritzen, schreien und lachen, springen und spritzen, …
Einfach so. Weil in die Pfütze springen allen Kindern Spaß macht.
Und weil gemeinsames Spiel glücklich macht.
Wir gemeinsam konnten Verbundenheit spüren und Amelie hat uns gezeigt, wie wertvoll das ist.
Auf dem Pferd liegt der 18-jährige Alex. Er kann nicht sitzen, daher liegt er auf Isabell. Er kann sich auch nicht selbst halten, daher halte ich ihn und das Pferd wird von Tamara geführt.
Tamara bekommt schon länger Reitunterricht im Verein und erklärt sich bereit, eine halbe Stunde Isabell mit Alex zu führen. Sie muss auf viele Dinge achten: Zügel gleiten, Spannung in ihren Händen und im Pferd, die Spur halten und immer wieder mit dem Kopf des Pferdes nach außen rotieren, ihre Balance und Achse halten, dass sie darüber das Ausatmen und Entspannen vergisst. Ich arbeite mit Alex und gebe ihm permanente Entspannungsimpulse. Ich spüre die Verspannung in dem Jungen und im Pferd, dann registriere ich die Verkrampfung von Tamara. Wir halten an, ich lege eine Hand in Tamaras Rücken und erinnere sie an ihren eigenen Körper. Sie sucht ihre Balance neu, hält nach Methoden aus dem Connected Riding beide Hände am Pferd und ich erinnere sie an ihre Atmung. Mit einem tiefen Ausatmen lässt sie ihre Schultern fallen und Spannung weicht. Sofort im nächsten Atemzug schnaubt Isabell und lässt Kopf und Hals entspannt fallen, wiederum einen Atemzug später atmet Alex tief aus, auch sein Kopf fällt zur Seite, seine Arme sinken nach unten und der ganze Körper entspannt sich.
Eine Kettenreaktion von Atemzügen. Es fühlt sich an, als wenn für ein paar Augenblicke drei Körper zu einem verschmolzen sind, ich bin berührt und begeistert. Auch ich bin verbunden mit den dreien mit meinen Händen, ich spüre die Entspannung auch in meinem Körper, ich spüre die Energie und die Kraft dieser Verbundenheit. Eine Verbundenheit, in der jeder von uns Beschenkter und Gebender ist.
Alex` Spastik in den Beinen, die Verkrampfung in seinem ganzen Körper ist nach der Stunde so viel weicher, dass ich dankbar bin, eine solche Arbeit tun zu dürfen.
Und ich bin dankbar, dass Alex mir mal wieder gezeigt hat, dass ich mehr innehalten sollte.
Das nimmt auch Tamara mit: Es kommt nicht darauf an, dass wir uns immer mehr und mehr bemühen, sondern Lassen, Atmen und Spüren bringen die Geschenke.
An dieser positiven Erfahrung von Entspannung und Verbundenheit nehmen wir alle teil: Tamara, Alex, das Pony Isabell, die zuschauenden Eltern und ich.
Heute wird Isabell von Lara geführt. Alex liegt wieder auf dem Pferd und ich arbeite mit Alex, in dem ich ihn stabilisiere, wenn es nötig ist, und durch ich „begegnen und schmelzen“ (Connected Riding) und Rotationen seine Entspannung und Beweglichkeit vergrößere.
Alex reagiert auf die Bewegung von Isabell und auf meine Impulse dankbar. Er ist sehr entspannt und sein Blick wird friedlicher, seine Augen ruhiger. Ja außer in der Ecke, wenn wir an seinen Eltern vorbei reiten. Dann krampft jedes Mal der Kopf hoch und sein Atem, sein ganzer Körper zuckt kurz zusammen. Wir benötigen nach der Ecke einige Schritte, um die Entspannung wiederzufinden.
Ich versuche wahrzunehmen, woran das liegt. Zuerst achte ich auf mich selbst und habe schon die Antwort. Bei jeder Runde, wenn wir an Alex´ Eltern vorbei gehen, gebe ich diesen einen Teil meiner Aufmerksamkeit: Schauen sie zu, sehen sie wie toll ihr Sohn entspannt? Freuen sie sich? Ich habe mich ertappt und probiere aus, ob es das ist, was Alex stört. In der nächsten Runde gehen wir an den Eltern vorbei und ich bleibe hundertprozentig bei meiner Arbeit, Achtsamkeit und der Verbundenheit mit Alex und Isabell. Von Alex kommt kein Zucken, er lächelt entspannt, während wir an seinen Eltern vorbeireiten. Danke Alex, du bist mein Lehrer, wenn es darum geht, mit meiner Aufmerksamkeit bei mir selbst zu bleiben und mich nicht ablenken zu lassen.
In jeder Begegnung sind wir lehrend und lernend.
Ich habe mich gegen das Kategorisieren und das Erstellen von Tabellen und Entwicklungsdiagrammmen entschieden. Ich habe mich für wahrnehmen, spüren und „bei mir selbst sein“ entschieden. Vermutlich hätte ich sonst in dieser Situation die Anwesenheit der Eltern für die Verspannung verantwortlich gemacht; ich hätte mich auf das Störende konzentriert und meine Arbeit wäre destruktiv geworden. So habe ich ein Geschenk bekommen: Ich habe dazu gelernt und die Eltern konnten im Kontakt mit ihrem Jungen bleiben.